Die Iuthungenschlacht von 260 n.Chr. und die POPULARES

Für das römische Reich geriet das 3.Jh. n.Chr. zu einer Periode der Katastrophen. Nachdem es bereits in den 60er, 70er und 80er Jahren des 2.Jh. unter Marc Aurel und Commodus zu verheerenden Kriegen mit germanischen und sarmatischen Völkern an der Donau gekommen war, verschlechterte sich in den folgenden Jahrzehnten die Lage auch in anderen Grenz-gebieten immer weiter. Im Orient wurde der letzte Partherkönig von dem persischen Adeligen Ardashir aus dem Hause Sassans gestürzt. Für Rom war diese Entwicklung fatal, denn das neue sassanidische Perserreich erwies sich als ein wesentlich aggressiverer Gegner als das Partherreich. Am Niederrhein bildete sich allmählich eine mächtige Stammesföderation, aus denen später die Franken entstanden. Am obergermanisch-raetischen Limes herrschte zwar nach einem Feldzug Caracallas im Jahr 213 n.Chr. vorerst Ruhe, doch führte die zeitweilige Verlegung römischer Truppen nach Mesopotamien durch Severus Alexander um 233 n.Chr. zu massiven Germaneneinfällen. Ein weiterer Perserkrieg von Gordian III brachte Mitte der 40er Jahre wieder Truppenabzüge mit sich, die ebenfalls weiträumige Verwüstungen durch Germanenangriffe zur Folge hatten. An der unteren Donau und im Schwarzmeerraum wurden die römischen Provinzen immer wieder von Karpen und Goten angegriffen, die Mitte des 3.Jh. sogar mit eigenen Flotten in die Ägäis durchbrachen. In Nordafrika und Oberägypten drohten außerdem räuberische Wüstenstämme. Dieser steigende Druck von außen verursachte nicht nur weiträumige Zerstörungen, und enorme militärische und wirtschaftliche Verluste, sondern destabilisierte das Imperium soweit, dass es immer wieder von Bürgerkriegen und Unruhen erschüttert wurde. Den Quellen zufolge "regierten" in der Hochphase der sogenannten "Reichskrise", d.h. in den 50 Jahren zwischen 235 und 285 n.Chr. knapp 50 Kaiser! Von diesen starb Claudius II an einer Seuche, Valerian geriet in persische Gefangenschaft, und Carus wurde bei einem Persienfeldzug vom Blitz erschlagen. Alle anderen fielen Attentaten zum Opfer, bzw. kamen bei Kampfhandlungen ums Leben.

Durch die ständigen Truppenverlegungen sowie durch Ströme hungernder und geschwächter Flüchtlinge breiteten sich immer wieder verheerende Seuchen aus. Die hohen Kriegskosten, die oft unbarmherzig durch Konfiskationen gedeckt werden mussten, sowie die Verödung der Grenzgebiete und die daraus resultierenden Materialverknappungen, hatten außerdem eine nachhaltige Geldentwertung zur Folge

Diese Krisensymptome verdichteten sich um 260 n.Chr. in erschreckender Weise. Eine Militärrevolte in Pannonien, bei der ein gewisser Ingenuus zum Kaiser ausgerufen worden war, führte dazu, dass der regierende Kaiser Gallienus Truppen vom Oberrhein (und wohl auch aus Raetien) nach Pannonien in Marsch setzte, um dort die Usurpation niederzuschlagen. Die germanischen Völker am Niederrhein und am obergermanischen und raetischen limes nutzten diese Truppenabzüge in gewohnter Weise dazu aus, die geschwächte Grenzverteidigung zu durchbrechen und tief in das Reich vorzustoßen. Ein Heerhaufen der Franken durchquerte Gallien und erreichte die Pyrenäen und Nordostspanien. Da Gallienus die gallischen Provinzen nicht schützen konnte, kam es dort zur Erhebung eines eigenen Kaisers namens Postumus mit Kaisersitz Köln. Im Osten geriet Valerian, der Vater von Gallienus, bei einem gescheiterten Perserfeldzug in Gefangenschaft. Am Oberrhein stießen die Allamannen über die Westschweiz nach Oberitalien vor. Pannonien wurde von den Markommanen, Quaden und den iranischen Sarmaten verwüstet, dazu kamen noch die Kämpfe zwischen den Truppen von Gallienus und Ingenuus. Gallienus konnte zwar in Pannonien seinen Konkurrenten Ingenuus, und in Oberitalien die Allamannen besiegen, kam aber offenbar zu spät, um einen weiteren Einbruch abzufangen, bei dem der Stamm der Iuthungen durch die Alpen ebenfalls Oberitalien erreichte. Dieser Einfall wird in den literarischen Quellen gar nicht erwähnt. Man weiß davon erst seit 1992, denn in diesem Jahr wurde bei Augsburg, dem ehemaligen Statthaltersitz der Provinz Raetien, ein Siegesaltar gefunden, dessen Inschrift von einem römischen Sieg über die Iuthungen in einer zweitägigen Schlacht am 24./25. April 260 n.Chr. berichtet

    In h(onorem) d(omus) d(ivinae)/ deae sanctae Victoriae/ ob barbaros gentis Semnonum/ sive Iouthungorum die/ VIII et VII kal(endarum) Maia(rum) caesos /fugatosque a militibus prov(inciae)/ Raetiae sed et germanicianis/ itemque popularibus excussis/ multis milibus Italorum captivor(um)/ compos votorum suorum/[[M(arcus) Simplicinius Genialis v(ir) p(erfectissimus) a(gens) v(ices) p(raesidis)/ cum eodem exercitu]]/ libens merito posuit/ dedicata III idus Septemb(res) imp(eratore) d(omino) n(ostro)/ [[Postumo Au]]g(usto) et [[Honoratiano co(n)s(ulibus)]].

    Zu Ehren des göttlichen Kaiserhauses. [= bei dieser Zeile handelt es sich um den Rest einer älteren Inschrift für Severus Alexander] Für die heilige Göttin Victoria (wurde dieser Siegesaltar geweiht), weil die Barbaren vom Stamme der Semnonen bzw. Iouthungen am 24. und 25. April geschlagen und vertrieben wurden, (und zwar) von den Soldaten der Provinz Raetien, aber auch von den germaniciani, wie auch von den populares. Dabei wurden viele tausend gefangener Italer befreit. Mächtig seiner Gelübde hat Marcus Simplicinius Genialis, der allerperfekteste Mann [vir perfectissimus = ein Titel, der die Zugehörigkeit zum Ritterstand angibt] und amtierend anstelle des praeses [= des senatorischen Statthalters], mit demselben Heer (diesen Stein) freudig und nach Verdienst aufgestellt. Geweiht am 11. September, als unser Befehlshaber und Feldherr Kaiser Postumus und Honoratianus Konsuln waren. (die Namen von Simplicinius Genialis, Postumus und Honoratianus wurden später aus politischen Gründen wieder entfernt)

Wo diese Schlacht stattfand, wird in der Inschrift leider nicht angegeben. Die Forschung geht aufgrund des Fundorts bei Augsburg von einer Schlacht in der Nähe der Provinzhauptstadt selbst aus. Standardtaktik der römischen Grenzverteidigung war es jedoch, zurückkehrenden Eindringlingen in der Nähe der Flussgrenze aufzulauern und sie während des Grenzübertritts abzufangen, da sie dann von ihrer Beute (in diesem Fall sogar lebender Beute) behindert wurden, und ihnen der Fluss im Rücken nur wenig Platz zum Manövrieren ließ. In einem Fall bei Neupotz am Oberrhein wurde eine allamannische Raubgruppe offenbar direkt bei der Flussüberquerung abgefangen, möglicherweise von einigen römischen Galeeren

Falls der exercitus Raeticus taktisch ähnlich vorging, dann könnte die Schlacht vom 24./25. April 260 n.Chr. auch im Raum Donauwörth stattgefunden haben, wo es eine gute Übergangsmöglichkeit über die Donau gab. In dieser Region stieß auch die Via Claudia Augusta, die von Süden kommende Fernstrasse, auf die Donauuferstrasse. Eine Karte aus dem 19.Jh. zeigt für das Lechtal noch ausgedehnte Sumpfgebiete, die vielleicht auch 260 n.Chr. von den ortserfahrenen Truppen ausgenutzt wurden.

      Abb. 1: unteres Lechtal mit Sumpfgebiet zwischen Lech und Schmutter. Die Bahntrasse nach Norden Richtung Donauwörth verläuft teilweise grob parallel zur Via Claudia Augusta. Nordöstlich von Druisheim (links unten im Bild) lag bei Burghöfe der römische Stützpunkt Submuntorium, der mit dem Lechtal die Anmarschwege nach Augsburg (Augusta Vindelicum) kontrollierte. (Bild aus Heksch, A.F., 1881, Die Donau von ihrem Ursprung bis an die Mündung. Eine Schilderung von Land und Leuten des Donaugebietes, Wien (u.a.).)

Die Zusammensetzung der an der Schlacht beteiligten römischen Streitkräfte wirft ebenfalls Fragen auf. In den milites provinciae Raetiae sind wohl einfach die noch vorhandenen Reste des raetischen Provinzheers zu sehen, bzw. Teile dieser Reste. Ein Kontingent der in Raetien stationierten Legion, der III ITALICA mit Standlager Regensburg, befand sich wohl ebenfalls darunter. Die III ITALICA hatte zwar sicher Truppen für den glücklosen Feldzug Valerians in Mesopotamien, sowie für die Niederschlagung der Revolte in Pannonien durch Gallienus abgegeben müssen, doch deuten zahlreiche Inschriften der III ITALICA aus Augsburg auf ein permanent in der Provinzhauptstadt stationiertes Detachement dieser Legion hin. Dass die III ITALICA nicht explizit in der Inschrift erwähnt wurde, könnte auch politische Gründe gehabt haben, da die Masse der Legion vermutlich weiter zu Kaiser Gallienus hielt, der Augsburger Inschriftenstein aber von einem Statthalter gesetzt wurde, der zu dem gallischen Konkurrenzkaiser Postumus übergelaufen war. Was die germaniciani betrifft, so handelte es sich bei diesen möglicherweise um eine bei Lugdunum (Lyon) stationierte strategische Operationsreserve, die aus Abteilungen der in den Provinzen Ober- und Niedergermanien stationierten Legionen bestand, d.h. der XXX VLPIA TRAIANA (Vetera/Xanten), der I MINERVIA (Bonna/Bonn), der XXII PRIMIGENIA (Moguntiacum/ Mainz), und der VIII AVGVSTA (Argentorate/Strassburg). In den ansonsten leider nirgends genannten populares ist schließlich wohl eine Art provinziale Volksmiliz zu sehen, die vielleicht eigens anlässlich des Iuthungeneinbruchs von 260 n.Chr. aufgestellt worden war, vielleicht aber auch schon einer früheren Krisenphase ihre Existenz verdankte. Es kann angenommen werden, dass bei der Aufstellung dieser Einheit(en?) auch Einsprengsel und Reste regulärer Truppenverbände beteiligt waren, die den frisch bewaffneten Zivilisten militärische Strukturen und Taktiken vermitteln sollten.

© Dr. Florian Himmler